Die Musik der Synagoge
Ein Gottesdienst wie ein “Fest nach langer Trauer, wie ein Feuer in der Nacht. Ein offnes Tor in einer Mauer, für die Sonne aufgemacht“.
Es war ein zutiefst emotionaler und die Ratio fordernder Gottesdienst in der Liebfrauenkirche Arnstadt, am vergangenen Sonntag. Er war gelebter interreligiöser Dialog, er war vorgelebte Versöhnung, er war ein Schritt zum großen Frieden. Aber er war auch Mahnung gegen Vergessen, gegen Gleichgültigkeit und Intoleranz, Mahnung zur Verantwortung.
Dieser Gottesdienst sowie ein Orgelkonzert fanden als Veranstaltungen der evangelischen Kirchgemeinde Arnstadt im Rahmen der Achava- Festspiele am 17. und 18. September statt, mit Musik aus jüdischen Gottesdiensten. Über das Orgelkonzert mit dem katholischen Kirchenmusiker Stephan Lutermann – mit tief berührender jüdischer Musik verschiedener Komponisten – wurde bereits berichtet. Der Gottesdienst in der Liebfrauenkirche wurde zu einem unvergesslichen Höhepunkt.
Die Idee überfiel Kantor Jörg Reddin während einer Veranstaltung in einer Berliner Synagoge im vergangenen Herbst. Quasi als Pendent zu den Kantatengottesdiensten wollte er der wenig bekannten jüdischen Liturgie offene Ohren schaffen. Offene Ohren fand er sofort bei Superintendentin Elke Rosenthal, und bei einem ob dieser Idee begeistert zustimmenden jüdischen Kantor. Ein Glücksfall. Ein ehemaliger Gesangs-Studienkollege des evangelischen Kantors ist inzwischen jüdischer Kantor. Gabriel Loewenheim, geboren im israelischen Haifa, arbeitet neben seiner Tätigkeit als weltweit renommierter Opernsänger inzwischen auch als Kantor der jüdischen Gemeinde Berlin Pestalozzistraße. Die Zusage des jüdischen Kantors war auch deshalb ein Glücksfall, weil nur wenige jüdische Amtsträger in einem Gottesdienst einer anderen Religion arbeiten.
Bereits im Juli begann der Kantatenchor mit den Proben: Ausgewählt waren sechs Kompositionen eines der bedeutendsten deutsch- jüdischen Komponisten, Louis Lewandowski, der für die Synagoge komponiert hat. Wunderbare, eingängige Musik, die Jörg Reddin musikalisch mit dem Kantatenchor einstudiert hat. Eine Herausforderung waren die Texte in hebräischer Sprache. Gabriel Loewenheim nahm die Texte für die Sängerinnen und Sänger auf- klar und deutlich vorgesprochen im Rhythmus des jeweiligen Stückes. Dank dieser Hilfe zeigte jede Probe neue Fortschritte, und als Gabriel Loewenheim zu zwei Proben eigens anreiste, war der Boden für intensives Üben mit dem Fachmann bereitet. Schon diese beiden Proben und erst recht die Generalprobe wurden zum Fest für alle Beteiligten. Ein wunderbares Miteinander der beiden Kantoren, der schnelle gute Draht des jüdischen Kantors zum Chor und das gemeinsame Arbeiten an einer Musik, die nicht mehr aus den Sinnen ging, ließen eine große Vorfreude auf den zu erwartenden Gottesdienst aufkommen, dazu die Gewissheit: Es wird wunderbar.
Und das wurde es. Die Kirche füllte sich mit erwartungsvollen Menschen. Es gab die regelmäßigen Gottesdienstbesucher, einige waren eigens gekommen, um die jüdische Musik zu hören, andere, um teilzuhaben an einem einmaligen Geschehen in diesem Gotteshaus: Ein jüdischer, ein katholischer und ein evangelischer Kantor sind bei der Gestaltung eines evangelischen Gottesdienstes vereint.
Ma Towu- das erste Lied erklingt. Begleitet von den Klängen der Orgel, erfüllt die Musik den Raum. Dann die Solostellen des Kantors: Der Himmel öffnet sich, der am Morgen erschienene Regenbogen über Arnstadt wird zum großartigen Symbol. Es ist wie in einer anderen Welt, in himmlischen Dimensionen, bei jeder Musik, die nun zu erleben ist. Als Adon Olam, die Hymne, welche die Ewigkeit und Einheit Gottes ausdrückt, den Kirchenraum erfüllt, kann sich niemand mehr der Kraft und großen Spiritualität dieser Musik entziehen, die in die Tiefen der Seele dringt. Die Tränen laufen, bei den Besuchern und erst recht bei den Sängerinnen und Sängern.
Gut, dass Stephan Lutermann mit fröhlichen Orgelintermezzi Kontrapunkte setzte .
Mit großen Emotionen ging es weiter, als sich Gabriel Loewenheim selbst vorstellte. Er erzählte aus seiner eigenen und der tief bewegenden Geschichte seine jüdischen Familie, seiner Tätigkeit als Opernsänger und seinen Weg zum jüdischen Kantor. Seine Botschaft: Musik hilft zum Überleben, Musik trägt zum Frieden und zur Völkerverständigung bei. Er fühlt, wenn er für Gott etwas tut, bekommt er viel mehr zurück an Werten, die mehr sind als Geld und Gut.
Und dann die Predigt: Aufwühlend, berührend, bewegend, mahnend, versöhnend, mit klaren Botschaften.
Diese Predigt von Superintendentin Elke Rosenthal wird wohl niemand vergessen, der sie hören durfte.
„Synagoga und Ecclesia in our time“, ein Foto der Plastik von Joshua Koffman, die heute auf dem Campus der Saint Joseph`s University in Philadelphia steht, war das Bild, aus dem die Predigt inspiriert war. Synagoga und Ecclesia (Synagoge und Kirche) -in gewisser Synchronität dargestellt-entspringen ein und derselben Wurzel. Sie sind Zwillinge. Diese Geschwister bezeugen den Einen Gott und Herren. Das ist unser gemeinsamer Kern, unser gemeinsamer Glaube. Über Jahrhunderte wurde in christlichen Darstellungen der Synagoga diese mit verbundenen Augen dargestellt. Richtiger ist wohl zu bekennen: UNSERER Kirche waren offensichtlich über Jahrhunderte die Augen verbunden. Sie und damit wir alle haben die gemeinsame Wurzel verleugnet- mit schrecklichsten Folgen.
Wir- die Geschwister- Juden und Christen- stehen gemeinsam in einer hohen Verantwortung für die Botschaft, auf die wir gründen. Im Glaubensbekenntnis wurde dann von der Gemeinde gesungen: „Wir glauben: Gott hat ihn erwählt, den Juden Jesus für die Welt.“
Das Schlusslied, gesungen vom konfessionell gemischten Chor, mit seiner Stimme unterstützt vom evangelischen Kantor Jörg Reddin, an der Orgel begleitet vom katholischen Kantor Stephan Lutermann, dirigiert vom jüdischen Kantor Gabriel Loewenheim, war die ermutigende Botschaft zum Mitnehmen in schweren Zeiten: „ Der Ewige wird Euch behüten vor allem Bösen.“
Gabriele Damm